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Zukunftsforum Ecornet 24.01.2023

Zwischen Handlungsdruck und Zukunftsorientierung: Auftrag und Perspektiven der Nachhaltigkeitsforschung Präsenzveranstaltung

Was ist der Auftrag der Nachhaltigkeitsforschung in Zeiten multipler Krisen? Beim elften Zukunftsforum Ecornet wurde diskutiert, wie Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft den globalen Herausforderungen besser begegnen können.

Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben gezeigt, dass in Krisenzeiten kurzfristige Entscheidungen und schnelles Handeln notwendig sind. Gleichzeitig bleiben langfristige Herausforderungen wie die Biodiversitätskrise oder der Klimawandel bestehen. Auch die Wissenschaft findet sich zunehmend in diesem Spannungsfeld wieder. Darüber sprachen Vertreter*innen aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft beim elften Zukunftsforum Ecornet, das vom Wissenschaftsjournalisten Jan-Martin Wiarda moderiert wurde. Die rund 100 Gäste vor Ort und im Livestream sahen zunächst eine vielseitige Podiumsdiskussion. Im Anschluss lud das Ecornet-Netzwerk zum Neujahrsempfang ein.

Nachhaltigkeitsforschung stärken – Zivilgesellschaft beteiligen

Mehr denn je ist die Wissenschaft gefordert, schnelle Ergebnisse zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen. Doch die Probleme und ihre Lösungen werden immer komplexer, die Berücksichtigung von Langzeitperspektiven immer wichtiger. Wie kann die Nachhaltigkeitsforschung in diesem Spannungsfeld zielgerichteter agieren?

Für Kai Gehring, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, besteht eine aktuelle Aufgabe der Politik darin, der Nachhaltigkeitsforschung einen größeren Stellenwert zu verschaffen. In Zeiten multipler Krisen sei es dringend notwendig, dass die Nachhaltigkeitsforschung transformatives Wissen zur Verfügung stellt. Dies versetze die Politik besser in die Lage, den großen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen zu begegnen. Dazu habe auch die Forschung in den Rahmenprogrammen Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) und Sozial-ökologische Forschung (SÖF) beigetragen.

Die Zivilgesellschaft an der Lösung gesellschaftlicher Probleme stärker zu beteiligen, ist auch ein Anliegen von Steffi Ober vom Naturschutzbund Deutschland (NABU). Durch eine bessere Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in Forschungsprozesse könnten sowohl in der Bevölkerung als auch in der Wissenschaft Kompetenzen aufgebaut und gegenseitig Vertrauen gewonnen werden. Hilfreich dafür wäre eine institutionalisierte Schnittstelle, wie sie etwa die acatech im Bereich zwischen Wirtschaft und Wissenschaft darstellt. Hierfür fehle es bislang aber an Ressourcen und Kapazitäten.

Bleibt uns überhaupt noch Zeit für Forschung?

Flurina Schneider, wissenschaftliche Geschäftsführerin des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, stellte die Frage, ob die Rezepte der Wissenschaft noch die richtigen seien. Mehr denn je brauche es trans- und interdisziplinäre Forschung, die der Komplexität der Probleme gerecht wird und die Kooperation und Gestaltung mit vielfältigen Akteuren vor Ort vorantreibt. Die transdisziplinäre Forschung müsse sich aber auch weiterentwickeln, um auf die Geschwindigkeit und Beschleunigung der Krisen zeitnah reagieren zu können.

Systemische Langzeitforschung einerseits und akuter Gestaltungsdruck andererseits – auch innerhalb von Ecornet bilden die unterschiedlichen Institute dieses Miteinander ab. „Es geht nicht um Entweder-Oder – es braucht eine Gleichzeitigkeit von Forschen und Gestalten“, so Thomas Korbun, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Ko-Sprecher von Ecornet. Die Politik müsse diese Gleichzeitigkeit aushalten können und entsprechend fördern. Trotz vielfacher Erfolge in den vergangenen Jahrzehnten sieht Thomas Korbun wichtige Entwicklungsaufgaben für die Nachhaltigkeitsforschung und die Forschungspolitik. So müsse unter anderem das „Wie“ von sozial-ökologischen Transformationsprozessen noch viel besser erforscht werden. Diese und weitere Thesen hatte das Ecornet vor der Veranstaltung in einem Thesenpapier veröffentlicht, auf das während des Podiumsgesprächs vielfach Bezug genommen wurde.

Die Zukunftsstrategie hat noch Potenziale

Wie kann die Forschungspolitik die Nachhaltigkeitsforschung zukunftsorientierter fördern? Hoffnung mache die vom Bundesforschungsministerium veröffentlichte Zukunftsstrategie Forschung und Innovation. Der Strategie fehle bislang aber eine Vision von Zukunft, so Thomas Korbun. Eine auf Zukunft ausgerichtete Strategie müsse die sozial-ökologische Transformation unterstützen. Dafür brauche es auch ein neues Innovationsverständnis. Nicht jede Innovation dürfe per se positiv bewertet werden. Flurina Schneider ergänzte: Der klassische Innovationspfad von Forschung über Transfer in die Anwendung funktioniere nicht immer bei technischen und erst recht nicht für soziale Innovationen. Letztere würden auch in der Gesellschaft mitentwickelt. Die in der Strategie verankerten Mechanismen seien jedoch nicht ausreichend, um diesen Konzepten zum Durchbruch zu verhelfen.

Gegenüber der vormaligen Hightech-Strategie sieht Kai Gehring in der Zukunftsstrategie einen Fortschritt. Für die Förderung sozialer Innovationen und zivilgesellschaftlicher Beteiligung sei sie ein geeignetes Gerüst, beispielsweise durch die vorgesehenen Missionsteams. Nun müssten auch entsprechende Nachhaltigkeitsforschungsprogramme weiterentwickelt werden, um transformatives Wissen zu generieren. Steffi Ober zufolge fehle der Zukunftsstrategie jedoch eine Indikatorik, die ihre Erfolge nicht nur anhand von quantitativen Faktoren wie Produkten und Patenten bewertet. Das sei eng mit der Frage verbunden, wie der Erfolg einer sozial-ökologischen Transformation überhaupt gemessen werden kann.

Wo hört Wissenschaft auf, wo fängt Politik an?

Angeregt durch eine Frage aus dem Publikum sprachen die Podiumsgäste anschließend über die Rollenverteilung von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Kai Gehring betonte, dass die Corona-Pandemie den Diskurs zu dieser Frage gestärkt habe. Eine Trennung dieser Sphären sei laut Flurina Schneider wichtig, aber nur bis zu einem bestimmten Grad. Genauso wichtig sei es an der Schnittstelle zusammenzukommen, um die Kommunikation miteinander zu verbessern und gemeinsam in die Gestaltung zu gehen. Dieser Mitgestaltungsanspruch, der nicht mit politischen Entscheidungen oder gesellschaftlichen Praktiken verwechselt werden dürfe, zeichne die Ecornet-Institute seit jeher aus.

Die Podiumsgäste waren sich einig, dass es neue Förderformate für die transformative und transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung brauche. Diese müssten auch die Themen Frieden und soziale Gerechtigkeit stärker in den Blick nehmen, da sie eng mit globaler Nachhaltigkeit verbunden seien.

Auch wenn Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten bei der Transformation behäbig waren, appellierte Kai Gehring an die Wissenschaft, zuversichtlich zu sein. So resümierte Jan-Martin Wiarda zum Abschluss der Veranstaltung, dass das Ende der Wissenschaft noch nicht gekommen sei. Aber es brauche eine neue Bestimmung, was der Auftrag der Nachhaltigkeitsforschung für die Zukunft ist.