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Zukunftsforum Ecornet (Jubiläumsreihe) 10.11.2021

Infrastrukturplanung: zielkompatibel, partizipativ und effizient!? Digitale Veranstaltung

Der Infrastrukturausbau in Deutschland muss sich mehr und mehr an gesteigerten Klimazielen und den Dekarbonisierungsnotwendigkeiten orientieren. Gleichzeitig braucht es weiterhin die Beteiligung der Öffentlichkeit, um die Bevölkerung bei den anstehenden Veränderungsprozessen einzubeziehen sowie die demokratischen Errungenschaften zu gewährleisten. Das Heben von Effizienzpotentialen in Planungsprozessen gilt daher als Schlüssel, um zielgerichteter in den kommenden Jahren den Infrastrukturausbau zu bewältigen. Möglichkeiten, Grenzen und sinnvolle Ansätze der Planungsbeschleunigung diskutierten Expertinnen und Experten beim neunten Zukunftsforum Ecornet.

Die Veranstaltung bildete den zweiten Teil einer Sonderreihe des Zukunftsforum Ecornet, die anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Ecological Research Network (Ecornet) in vier Veranstaltungen einen Blick auf drängende Zukunftsfragen wirft. 

Infrastrukturplanung ist facettenreich und politisch in vielerlei Hinsicht relevant. Diskutiert werden Gas-Netze, Fahrradwege, Schienennetze, Breitbandausbau, Stromtrassen oder Wasserstoffnetze. Im historischen Verlauf entwickelten sich dabei immer wieder neue Anforderungen an Planung. Strukturelle Optimierungsprozesse, die Schritt für Schritt umgesetzt werden, sind nicht mehr zeitgemäß. Heute muss Planung auf bestimmte Ziele, wie dem 1,5 Grad Ziel ausgerichtet sein, dabei aber auch zukunftsoffen, effizient und gleichzeitig partizipativ gestaltet werden. Diese neuen Anforderungen an Planung und ihre praktische Umsetzung standen im Fokus des neunten Zukunftsforum Ecornet. Moderiert wurde die Veranstaltung von Larissa Donges, die am Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU) im Fachgebiet „Umweltrecht und Partizipation“ als Projektleiterin tätig ist.

Fehleinschätzungen im Bereich der Planungsbeschleunigung

In einem ersten Impulsvortrag stellte Umweltjurist Michael Zschiesche vom UfU vier Thesen zum Aspekt der Planungsbeschleunigung vor. Aus seiner Sicht werde die Debatte um Planungsbeschleunigung in Deutschland zu undifferenziert geführt. Der Vorwurf, dass Planung in Deutschland grundsätzlich zu kompliziert und langsam ablaufe, sei empirisch nicht belegbar, auch da in vielen Bereichen keine Daten vorlägen. Es fehle an einem sektorspezifischen Monitoring von Infrastruktur in Deutschland und entsprechenden Problemanalysen. Ein weiteres Problem seien Vorbehalte gegenüber Beteiligungsverfahren. Zschiesche zufolge stelle Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltrelevanten Vorhaben keinen maßgeblichen Verzögerungsfaktor von Genehmigungsverfahren dar. Er hob hervor, dass Öffentlichkeitsbeteiligung den Kern von Demokratie ausmache. Weiter wies Zschiesche darauf hin, dass bereits zahlreiche Gesetze zur Infrastrukturplanung geändert worden seien. Die wahren Beschleunigungspotenziale lägen demnach in der Praxis. Abschließend argumentierte Zschiesche, dass Klimaschutz als Argument für mehr Tempo in der Planung zwar berechtigt sei, jedoch nicht zum Freifahrtsschein für alles werden dürfe, was im Planungsrecht nicht passe. Alle Regeln zum Planungsrecht sollten regelmäßig auf den Nutzeffekt überprüft werden. Klimaschutz könne zwar ein berechtigter Grund sein, zeitlich befristete Vorfahrtsregeln für klimafreundliche Vorhaben zu beschließen, vor allem aber bedürfe es einer Klimaverträglichkeitsprüfung, wodurch zum Beispiel die Genehmigungsgarantie aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz für Tiermastanlagen gestrichen werden könne.

Wie gelingt die Planungsbeschleunigung?

Franziska Flachsbarth, Senior Researcher im Bereich Energie und Klimaschutz am Öko-Institut, ging in ihrem Impuls am Beispiel des Netzausbaus auf Verbesserungspotenziale in der Planungsbeschleunigung ein. Zunächst stellte sie jedoch die bestehenden Hemmnisse dar, aus denen sich Verbesserungen ableiten ließen. Dazu gehörten neben Klagen unter anderem aufwendige Genehmigungsverfahren, häufige Änderungen des Rechtsrahmens, falsche Anreize, Fachkräftemangel sowie Zielkonflikte. Die Politik stehe bezüglich der Beschleunigung von Netzausbauvorhaben unter einem starken Handlungsdruck. Es wären zwar bereits von verschiedenen Akteur*innen Vorschläge erarbeitet worden, diese seien aber teilweise untereinander widersprüchlich. Während Netzbetreiber sagen, die Verfahren müssten grundsätzlich evaluiert werden, würden Umweltverbände andere Ursachen des Problems in den Fokus stellen. Es mangle also an einem Konsens bzw. einer Priorisierung. Das Öko-Institut hat in dem Policy Brief „Stromnetze: Netzausbau zügig und nachhaltig realisieren“ einen Vorschlag für eine solche Priorisierung erarbeitet. Darin plädieren die Wissenschaftler*innen erstens für eine Kontinuität des Rechtsrahmens. Zweitens gelte es, vor einem weiteren Netzausbau zunächst das bestehende Stromnetz zu optimieren. Die Handlungsmaxime für den Netzausbau müsse lauten: so gering wie möglich, so viel wie nötig. Zu diesem Zweck sollen drittens Anreize für Übertragungsnetzbetreiber geschaffen werden, entsprechende Technologien in das Stromnetz zu integrieren. Hier soll die entsprechende Anreizregulierungsverordnung an neue Technologien angepasst werden. 

Erproben neuer Regeln für die nachhaltige Transformation der Infrastruktur

Den dritten Impulsvortrag gab Dirk Bauknecht, ebenfalls Senior Researcher im Bereich Energie und Klimaschutz am Öko-Institut. Darin stellte er mit der „regulatorischen Innovationszone“ ein Instrument vor, dass übergreifend über verschiedene Sektoren und Infrastrukturen neue Möglichkeiten für Innovation schaffen könne. Bei der Innovationszone gehe es darum, Freiräume zum Ausprobieren von Regeln zu schaffen, um eine nachhaltige Transformation der Infrastruktur voranzutreiben. Im Gegensatz zu den meisten Pilotprojekten und Reallaboren, wo die Regulierung im Wesentlichen unverändert bleibe, könnten in regulatorischen Innovationszonen unter zukünftig denkbaren Regulierungen experimentiert werden. Damit könnten Erkenntnisse über praktische Fallstricke und Nebenwirkungen generiert werden. Damit geht die regulatorische Innovationszone über die bereits in Reallaboren angewandte Experimentierklausel hinaus, wo regulatorische Ausnahmeregelungen getroffen werden, um Pilotprojekte zu ermöglichen. Bei der regulatorischen Innovationszone dagegen werde die neue Regulierung zum zentralen Demonstrationsobjekt. Als Anwendungsbeispiele stellte Bauknecht den Stromnetzausbau, den Aufbau des Wasserstoffnetzes oder aber den Rückbau von Infrastruktur vor.

Spannungsfelder und Potenziale

In der abschließenden Expert*innendiskussion mit Kai Niebert (Deutscher Naturschutzring), Eva Maria Niemeyer (Deutscher Städtetag), Thorsten Fritsch (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) und Silvia Schütte (Öko-Institut) wurden einige Aspekte vertieft und auf Fragen und Impulse des Publikums eingegangen.

Ausgangspunkt war der Zusammenhang von Energiewende und Biodiversität. Kai Niebert betonte dazu, dass die Artenvielfalt – trotz der Dringlichkeit der Planungsbeschleunigung vor dem Hintergrund des Klimaschutzes – nicht vergessen werden dürfe. Es sei wichtig, zusätzliche Flächen für den Naturschutz freizustellen. Thorsten Fritsch erwiderte, dass aus Sicht der Energiewirtschaft der Artenschutz in den Verfahren bereits viel Raum einnehme. Das Interesse der Unternehmen sei die Verwirklichung von Anlagen und deren effizienter Betrieb. Hier stelle insbesondere der Individuenschutz ein Genehmigungsproblem dar, was dem gemeinsamen Interesse des Ausbaus der erneuerbaren Energien entgegenstehe. Standards sollten aus Sicht des BDEW nicht angetastet werden, jedoch besser handhabbar gestaltet werden. 
Als Expertin für die kommunale Ebene plädierte Eva Maria Niemeyer für eine ganzheitlichere Perspektive und eine bessere Gesamtkoordination. Aus ihrer Sicht sollten bei Arten-, Natur- und Lärmschutz keine Abstriche gemacht werden, sondern neue Lösungen entwickelt werden. Das größte Potenzial bei der Verfahrensbeschleunigung liege ihr zufolge in der Digitalisierung. Diese gelte es weiterzuentwickeln, ohne dabei Beteiligung außen vor zu lassen. Über den Wert der Öffentlichkeitsbeteiligung waren sich die Diskutant*innen einig. Diese habe sich grundsätzlich als sehr erfolgreich erwiesen, führte Silvia Schütte aus. Herausforderungen bei der Planungsbeschleunigung lägen Schütte und Niemeyer zufolge insbesondere in wachsenden Anforderungen an Behördenmitarbeiter*innen sowie im Personalmangel. Wünschenswert sei eine sektorenübergreifende Betrachtung des Infrastrukturausbaus einerseits und bundesweit einheitliche Regelungen andererseits.