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Zukunftsforum Ecornet (Jubiläumsreihe) 16.11.2021

Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zwischen Anspruch und Realität: Das Beispiel Textil Digitale Veranstaltung

Europa will zur Kreislaufwirtschaft werden und hat sich dazu mit dem Circular Economy Action Plan einen extrem ambitionierten Plan gegeben. Unter anderem soll bis 2030 der nicht recyclingfähige Restmüll halbiert werden. Aber wie steht es mit der Umsetzung in die Praxis? Und was braucht es, um hier mehr Geschwindigkeit zu entwickeln – beispielsweise im Textilbereich, der geradezu exemplarisch für das lineare Denken einer Wegwerfkultur steht? Darüber diskutierten Expert*innen aus Forschung und Praxis beim Zukunftsforum Ecornet am 16.11.2021.

Die Veranstaltung war Teil einer Sonderreihe des Zukunftsforum Ecornet, die anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Ecological Research Network (Ecornet) in vier Veranstaltungen einen Blick auf drängende Zukunftsfragen wirft.

Der Fast-Fashion-Trend hat die Textilindustrie zum Paradebeispiel für lineares, nicht zirkuläres Denken gemacht. Die Lebensdauer von Kleidung ist in den letzten Jahren deutlich gesunken, es zählt vor allem der günstige Preis. Gleichzeitig arbeiten Start-ups, aber auch etablierte Unternehmen zunehmend an zirkulären Geschäftsmodellen. Zeichnet sich also eine Trendwende ab? Moderator Martin Hirschnitz-Garbers vom Ecologic Institut zufolge lassen sich zwei entscheidende Gründe für die hohe Aktualität und Relevanz des Themas identifizieren: Das ökonomische Potenzial auf der einen und die Umweltrelevanz auf der anderen Seite. Letztere führt Henning Wilts, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut, im ersten Impulsvortrag aus.

Unzureichende Bemühungen im Hinblick auf eine dringend notwendige Transformation

Über 90 % der Artenverluste und über 50 % der Treibhausgase sind auf die lineare Nutzung natürlicher Ressourcen zurückzuführen. Daraus ergebe sich die dringende Notwendigkeit der Transformation zur Kreislaufwirtschaft, betonte Henning Wilts. Ohne diese seien Ziele wie Klimaneutralität in Deutschland bis 2050 nicht zu erreichen. Mit Blick auf den Status quo in der Praxis ließe sich allerdings jenseits von Nischenentwicklungen keine disruptive Transformation beobachten. Im Textilbereich entstehen jährlich 390.000 Tonnen an Abfall, die nicht in eine Zweitnutzung gehen und von denen nur 10 % stofflich recycelt werden. Gleichzeitig würden riesige Potenziale zum Beispiel im Bereich bio-basierter Polymere ungenutzt bleiben.

Im Circular Action Plan, der im März 2020 vorgelegt wurde und den Textilbereich als einen der Schlüsselwertschöpfungsketten nennt, blicke die EU Wilts zufolge nicht nur aus ökologischer Perspektive auf das Thema, sondern betone auch die ökonomischen Potenziale. Diesbezüglich stimmte Wilts grundsätzlich zu, plädierte aber dafür, dieses Win-Win-Win-Narrativ nicht unkritisch zu übernehmen und auch auf mögliche Verlierer*innen einer Transformation zu blicken. Ein solch radikaler Transformationsprozess in seiner erforderlichen Schnelligkeit brauche ihm zufolge viel breitere Akzeptanz und damit auch Transparenz. Konkrete Ansatzpunkte zur Umsetzung sieht der Forscher in technischen Innovationen einerseits und systemischen Ansätzen andererseits, wie zum Beispiel eine Obhutspflicht im Kampf gegen Vernichtung von Retouren und Überproduktion.

Innovative zirkuläre Geschäftsmodelle in die Breite tragen

Christine Henseling vom IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung gab in ihrem anschließenden Impuls einen Einblick in das Projekt „CiBER – Circular City Berlin“ des Forschungsverbunds Ecornet Berlin, in dem Ansätze und innovative Geschäftsmodelle zirkulären Wirtschaftens in Berlin untersucht werden. Henseling stellte klar, dass es eine umfassende Kreislaufwirtschaft brauche, die nicht erst am Ende, sondern bereits am Beginn des Produktlebens ansetzt. In den Fokus sollten daher neben der Abfallwirtschaft auch Veränderungsprozesse im Bereich Design, Herstellung, Vertrieb und Nutzung rücken. In Berlin ließen sich im Textilbereich bereits innovative Praktiken in den Bereichen Life Cycle Designing, Nutzungsdauerverlängerung, Nutzungsintensivierung und Materialneunutzung beobachten. Es existierten also schon viele wirksame Ansätze für eine zirkuläre Textil- und Nachnutzung, doch diese hätten den Mainstream noch nicht erreicht. Die Ansätze müssten daher noch weiter in die Breite getragen werden. Zentrale Handlungsfelder seien dementsprechend die Stärkung von innovativen Geschäftsmodellen und Förderung von Start-ups, die Aktivierung der Verbraucher*innen, Aufnahme zirkulärer Prinzipien in die Designausbildung sowie mehr Transparenz über Materialströme.

Eine Perspektive aus der Praxis brachte Modedesignerin und Beraterin Arianna Nicoletti ein. Sie spricht als Vertreter*in der Non-profit-Organisation Circular Berlin, die das Ziel verfolgt, den Übergang Berlins zu einer zirkulären Stadt zu beschleunigen. Nicoletti stimmte zu, dass bereits viele lokale Lösungsansätze existierten. Zur breiten Umsetzung mangle es ihr zufolge erstens an einer klaren Strategie inklusive einer umsetzbaren Roadmap auf nationaler und EU-Ebene. Zweitens brauche es stärkere Netzwerke sowie Datenaustausch zwischen Städten, Ländern und der Industrie, um Datenlücken zu Materialströmen zu beheben. Bezüglich Innovation nannte Nicoletti ebenfalls den Bedarf an neuen Technologien sowie Start- und Skalierungskapital für deren Entwicklung. Letztlich bedürfe es ihr zufolge außerdem eines Konsumwandels, der durch Anreize für nachhaltigen Konsum vorangetrieben werden müsse.

Digitale Produktpässe und Öko-Design-Standards als konkrete Maßnahmen

Den letzten Teil der Veranstaltung bildete eine Expert*innendiskussion mit Arianna Nicoletti, Christina Vogel vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Mandy Hinzmann vom Ecologic Institut, in der auch Fragen aus dem Publikum aufgegriffen wurden. Diskutiert wurde unter anderem das Problem des Greenwashings. Die Werbeversprechen vieler großer Modelabels dürften Arianna Nicoletti zufolge nicht von einer Betrachtung des Gesamtsystems und der Notwendigkeit einer echten Transformation ablenken. Eine Teilnehmerin im Chat stimmte zu und stellte diesbezüglich die Notwendigkeit einer parallelen Suffizienz-Strategie fest. Dem konnten sich die Diskutant*innen anschließen. Zur praktischen Umsetzung von Suffizienz-Prinzipien appellierte Arianna Nicoletti an die Wissenschaft, klare Kennzahlen zu formulieren, wie viele Kleidungsstücke pro Person und welche Lebensdauer ökologisch verträglich wäre, um ein konkreteres Bild zu erhalten. Christina Vogel betonte außerdem die Einsparungspotenziale im Bereich Retouren und Überproduktion.

Abschließend formulierten die Diskutant*innen zentrale Handlungsfelder und Empfehlungen an die Politik. Digitale Produktpässe könnten Hinzmann und Vogel zufolge Transparenz und Nachverfolgbarkeit bezüglich Materialien und Chemikalien verbessern und so Recycling erleichtern. Diesbezüglich sei es wichtig, weg vom Downcycling und hin zu hochwertigem Faser-zu-Faser-Recycling zu kommen. Zu Beginn des Produktlebens könne außerdem ein robustes und reparaturfähiges Design zu einer verlängerten Nutzungsdauer beitragen. Hierzu könnte die Ausweitung der Europäischen Öko-Design-Richtlinie beitragen, um spezifisch für bestimmte Produktgruppen Mindestanforderungen und Standards zu definieren. Zuletzt sprachen sich die Diskutant*innen für eine ganzheitliche Perspektive auf das Thema Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche aus. Es bedürfe neuer Narrative weg von Fast Fashion und hin zur Definition eines neuen Wertes von Kleidung. Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in Produktionsländern dürften außerdem nicht zugunsten eines Fokus auf Zirkularität aus dem Blickfeld geraten.