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Wege aus der Biodiversitätskrise – Weiter so oder Neuausrichtung?

Die Artenvielfalt nimmt weltweit weiterhin dramatisch ab. Neue Politikinstrumente wie die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 oder die UN-Dekade zur Renaturierung von Ökosystemen 2021-2030 sorgen jedoch für neuen Optimismus und große politische Aufmerksamkeit. Reichen diese Prozesse aus, um die Biodiversitätskrise zu bewältigen? Oder braucht es doch einen radikalen Wandel und ein Umdenken? Beim sechsten Zukunftsforum Ecornet wurden Lösungsansätze für den Schutz der Artenvielfalt diskutiert.

Das Jahr 2020 sollte eigentlich das "Biodiversitätsjahr" werden. Durch die pandemiebedingte Verschiebung der UN Biodiversity Conference (COP 15) auf das Jahr 2021 steht die wichtigste internationale Veranstaltung zu dem Thema nun noch bevor. Das sechste Zukunftsforum Ecornet fokussierte vor allem auf die nationale Perspektive: Was können wir aus den bisherigen Anstrengungen lernen und wie können wir diese Erfahrungen nutzen, um Anforderungen und Ansätze für einen effektiven Biodiversitätsschutz in Deutschland zu gestalten? Moderiert wurde die Veranstaltung von McKenna Davis, Senior Fellow und Forscherin im Bereich Biodiversität und naturbasierte Lösungen am Ecologic Institut.

Viele Ziele wurden nicht erreicht

Sandra Naumann, ebenfalls Senior Fellow und Koordinatorin im Bereich Biodiversität und naturbasierte Lösungen am Ecologic Institut, richtete ihren Blick zunächst auf die europäische Ebene. Die Ziele der EU-Biodiversitätsstrategie 2020 seien verfehlt worden. Dies werde nicht zuletzt am Zustand der Natur sichtbar, wo sich der Erhaltungszustand von Habitaten und Arten in den vergangenen Jahren sogar verschlechtert habe. Dabei sei die Gesetzgebung mit FFH-Richtlinie, Vogelschutzrichtlinie und weiteren Instrumenten im Grunde gut, deren Umsetzung in den Mitgliedsstaaten jedoch unzureichend. Viel Hoffnung sei daher mit dem „Biodiversitätsjahr“ 2021 verbunden, wie Sandra Naumann anhand der neuen EU-Biodiversitätsstrategie 2030 zeigte.

Till Hopf, Leiter Biodiversität im NABU - Naturschutzbund Deutschland, begann in seinem Eingangsimpuls ebenfalls mit einer Rückschau. So seien auch auf nationaler Ebene die Biodiversitätsziele aus dem Koalitionsvertrag von 2017 nicht erreicht worden, unter anderem weil eine Integration in andere Politikfelder nicht gelang. Für einen erfolgreichen Schutz der biologischen Vielfalt brauche es klarere Verantwortlichkeiten und eine bessere Finanzierung, um beispielsweise verbindliche Renaturierungspläne wirksam zu machen. Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit des Themas sei es jetzt besonders wichtig, schnell – spätestens ab Mitte der nächsten Legislatur – in die Umsetzung zu kommen.

Biodiversitätsschutz neu denken

Für einen erfolgreichen Biodiversitätsschutz fehle es an Handlungs- und Orientierungswissen, verdeutlichte Dr. Marion Mehring, Leiterin des Forschungsschwerpunkts Biodiversität und Bevölkerung am ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung. In ihrem Kurzimpuls fokussierte sie auf sozial-ökologische Perspektiven und stellte die Frage, was für einen Biodiversitätsschutz es im 21. Jahrhundert brauche. Aus ihrer Sicht sei es dringend notwendig, das Thema neu zu denken und Biodiversitätsschutz über naturwissenschaftliche Ansätze hinaus breiter anzugehen, da die klassische Trennung von Natur und Gesellschaft aufgelöst sei. Anhand der vom ISOE entwickelten sozial-ökologischen Gestaltungsprinzipien zeigte sie, wie wir fundamentale Fragen neu stellen müssen: Warum wollen wir Natur weiterhin schützen? Und was verstehen wir künftig unter „natürlich“?

In der anschließenden Diskussion, die durch zahlreiche Fragen aus dem Publikum bereichert wurde, standen weitere Lösungsmöglichkeiten im Fokus. Sandra Naumann und Till Hopf betonten, dass es verbindliche Politikinstrumente mit klaren, sektorspezifischen (Zwischen-)Zielen brauche, da das Prinzip der Freiwilligkeit in der Vergangenheit nicht funktioniert habe. Diese Verbindlichkeit müsse aber auch durch Kontrollen und Nachschärfungen abgesichert werden. Ergänzend dazu fehle es noch an Hebeln, über die Expert*innen und Zivilgesellschaft Einfluss auf die Politikgestaltung nehmen könnten. Um letztlich vom Wissen zum Handeln zu kommen, so Dr. Marion Mehring, sei bei den relevanten Akteur*innen eine Mischung aus Fähigkeiten (Wissen und Kompetenzen), Motivation (persönliche Einstellung) und Gelegenheiten (Erfahrungsräume) notwendig.

Es braucht "einen großen Wurf"

Einig war sich die Expert*innenrunde, dass das Thema nur mit einer umfassenden Perspektive erfolgreich angegangen werden könne. So müssten beispielsweise auch auf Flächen außerhalb von Schutzgebieten vermehrt Biodiversitätsaspekte berücksichtigt werden – dies gelte vor allem für urbane Räume, wo Begrünungspläne als integraler Bestandteil von Planungsprozessen verankert werden müssten. Daneben sei es wichtig, neben der Biodiversität auch andere Umweltschutzgüter wie Boden oder Luft nicht zu vernachlässigen. Auch biete eine Verzahnung mit Themen wie Gesundheitsvorsorge, Ernährung und Konsum sowie Landwirtschaft Möglichkeiten, das Thema breiter zu denken und gleichzeitig Werbung für Belange des Biodiversitätsschutzes zu machen.