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Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit – (auch) eine Frage der Technikfolgenabschätzung

Im April 2019 hat Bundesministerin Franziska Giffey die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht berufen. In diesem Bericht befasst sich die Kommission mit der Frage, welche Weichenstellungen erforderlich sind, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben.

Sprachassistent auf Smartphones (© bestforbest)

Im April 2019 hat Bundesministerin Franziska Giffey die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht berufen. In diesem Bericht befasst sich die Kommission mit der Frage, welche Weichenstellungen erforderlich sind, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben. Hierfür hat die Kommission wissenschaftliche Expertisen eingeholt. Den Stellenwert des Geschlechts bei der Technikfolgenabschätzung im Bereich der Digitalisierung haben Diana Hummel und Immanuel Stieß vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung gemeinsam mit Arn Sauer vom Umweltbundesamt untersucht.

Die Digitalisierung vollzieht sich rasch, ebenso schnell zeigen sich ihre Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – die Geschlechterverhältnisse bleiben davon nicht unberührt. Ob die Digitalisierung vorhandene Ungleichheitsstrukturen noch verstärken wird oder ob sie gerade eine Gelegenheit für mehr Geschlechtergerechtigkeit bietet, ist eine Frage, die die Technikfolgenabschätzung (TFA) in den Blick nehmen muss. Aber wie kann bei der wissenschaftlichen Betrachtung der Wirkungsabschätzung eine gleichstellungsorientierte Perspektive eingenommen werden?

In ihrer Expertise „Technikfolgenabschätzung und Geschlecht: Bestandsaufnahme und Identifizierung von Diskursschnittstellen mit besonderem Fokus auf Digitalisierung“ untersuchen Diana Hummel und Immanuel Stieß vom ISOE gemeinsam mit Arn Sauer vom Umweltbundesamt und unter Mitarbeit von Anna Kirschner die Fachdebatten zu Gender in der Technikfolgenabschätzung im deutschsprachigen Diskurs. Sie analysieren, welche Impulse sich aus dieser Debatte für das Thema Gleichstellung in der Digitalisierung ergeben und illustrieren hierfür bestehende Verfahren und Instrumente.

Gleichstellungsprüfung: Zusammenhänge zwischen Geschlecht und weiteren Faktoren sozialer Ungleichheit beachten

Die Autor*innen zeigen, dass eine Gleichstellungsprüfung im Bereich Digitalisierung die Heterogenität des Merkmals Geschlecht berücksichtigen sollte: Neben Männern und Frauen sind auch zwischengeschlechtlich empfindende Menschen zu beachten, ebenso mögliche Wechselwirkungen zwischen der Kategorie „Geschlecht“ und anderen Faktoren sozialer Ungleichheit wie beispielsweise Alter, Bildung, Einkommen oder körperliche Verfasstheit. Die Expertise umfasst zudem einen ausführlichen Überblick über Praxisbeispiele und Fallstudien mit Fokus auf Digitalisierung, vor allem zu Robotik, Softwareentwicklung für verschiedene Einsatzmöglichkeiten, Künstlicher Intelligenz und Algorithmen. Diese werden in der Studie anhand von Genderdimensionen – auf bestimmte Lebensbereiche bezogene Analysekategorien – systematisch ausgewertet. Die Autor*innen greifen dabei auf ein für die Klimapolitik entwickeltes Instrument des Gender Impact Assessment (GIA) zurück, das auch für die Technikfolgenabschätzung, Gender und Digitalisierung sinnvolle Orientierungen für die Analyse bieten kann.

Praxisbeispiele und Fallstudien: Der Mehrwert von Genderanalysen

So lassen sich anhand der Genderdimensionen vorliegende Untersuchungen der TFA neu bewerten. Ein Beispiel: Digitale Assistenzsysteme für den Privathaushalt werden häufig mit einer weiblichen Stimme programmiert, denn in dieser Variante erfreuen sie sich hoher Akzeptanz sowohl bei Männern als auch Frauen. Die Darstellung der digitalen Assistenten als weiblich und fürsorglich schafft einerseits Vertrauen in die digitale Maschine, doch andererseits werden so Geschlechterstereotype in der Technologie eingeschrieben und reproduziert, die im Extremfall sexistische Abwertungen befördern können.

Mit den ausgewerteten Praxisbeispielen und den Fallstudien verdeutlicht die Expertise den Mehrwert der Genderanalysen, und sie zeigt, dass die Beziehungen von Geschlechterasymmetrien und Prozessen der Technikentwicklung und -gestaltung nur durch eine mehrdimensionale Analyse erfasst werden können. Die Expertise formuliert vor diesem Hintergrund Empfehlungen für die Technikfolgenabschätzung. Zentral ist dabei die Empfehlung, potenzielle Nutzer*innen in die Entwicklung miteinzubeziehen, um den vielfältigen Lebenswirklichkeiten unterschiedlicher Geschlechtergruppen gerecht zu werden. Wichtig ist zudem die Gewährleistung ausreichender Genderkompetenz sowohl bei den Durchführenden der TFA als auch den Technikentwickler*innen selbst.


Expertise: Technikfolgenabschätzung und Geschlecht: Bestandsaufnahme und Identifizierung von Diskursschnittstellen mit besonderem Fokus auf Digitalisierung. Expertise von Diana Hummel, Immanuel Stieß und Arn Sauer unter Mitarbeit von Anna Kirschner

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin

Dr. Diana Hummel
Tel. +49 69 707 6919-33
hummel(at)isoe.de 
www.isoe.de

Pressekontakt

Melanie Neugart
Tel. +49 69 707 6919-51
neugart(at)isoe.de 
www.isoe.de